In den meisten Mordfällen führt das Motiv zum Täter. Wie sieht es also bei den Haysom Morden aus? Fest steht, dass Elizabeth Haysom ihre Eltern gehasst hat und sich ausdrücklich ihren Tod gewünscht hat. Dies geht aus den Briefen hervor, die sie Jens im Dezember 1985 schrieb (alles zu dem Briefverkehr könnt ihr in den Blogeintrag Die Briefe und das Tagebuch nachlesen). Zudem gab es Anzeichen dafür, dass Elizabeth von ihrer Mutter sexuell missbraucht wurde. Es sollen Fotos existieren, die diese These belegen. Jens Söring, will diese in dem Haus der Haysoms gesehen haben. Im Jahr 2016 hat Elizabeth bestätigt, dass sie von ihrer Mutter sexuell missbraucht wurde (Quelle: Frank Green, Richmond Times-Dispatch, 11.09.2016).
Von Jens Söring wissen wir, dass Elizabeth seine erste große Liebe war. Endlich hatte der behütete Diplomatensohn, der zwar hervorragende schulische Leistungen erbringt, aber soziale Defizite aufweist, das passende Gegenstück gefunden: Elizabeth, ebenfalls überdurchschnittlich intelligent und behütet aufgewachsen wie er selber. Beide sprechen mit einem ungewöhnlichen Akzent und sind sicher nicht freiwillig mit den Eltern ins dörfliche Virginia gezogen. Jens und Elizabeth haben also ähnlich ungewöhnliche Biografien und Probleme, die sich daraus ergeben. Was Elizabeth Jens voraus hat, ist ihr Status an der Universität. Im Gegensatz zu ihm ist Elizabeth sozial integriert. Erst durch die Beziehung zu Elizabeth wird Jens Teil seiner Bezugsgruppe.
Aus diesem besonderen Verhältnis heraus erklärt sich auch, warum Jens von Elizabeth geradezu besessen war. Für Jens muss eine Welt zusammengebrochen sein, als er erfuhr, dass sich die Eltern von Elizabeth gegen die Beziehung ihrer Tochter zu ihm ausgesprochen haben. Derek Haysom ging sogar so weit, damit zu drohen, Elizabeth von der Uni zu nehmen, wenn die Beziehung zu Jens nicht beendet wird.
Die Angst von Jens seine Elizabeth wieder zu verlieren, mag noch kein Mordmotiv darstellen. Aber Gutachter haben bei Jens Söring eine induzierte wahnhafte Störung festgestellt („Folie à deux“). Gemeint ist, dass eine psychotische Ansteckung einer geistesgesunden (hier: Jens Söring), in der Regel aber seelisch labilen Person durch einen Psychose-Erkrankten (hier: Elizabeth Haysom). Es ist durchaus üblich, dass es eine sozial isolierte Person, wie Jens Söring von dieser Störung betroffen ist. Konkret gab einer der behandelnden Ärzte zu Protokoll: “Miss Haysom hatte einen verblüffenden und hypnotisierenden Einfluss auf Söring, welcher ihn in einen abnormen psychologischen Zustand ohne die Fähigkeit zum vernünftigen Denken versetzte.“ (Bill Sizemore, Virginian Pilot, 18. Februar 2007).
Es ist also durchaus möglich, dass Jens, bedingt durch seine Geisteskrankheit, den Hass von Elizabeth auf ihre Eltern aufgesaugt hat.
Das Alibi
Erinnern wir uns: Jens Söring gibt an, dass er in Washington D.C. geblieben sei, während Elizabeth Haysom nach Charlottesville fuhr um Drogen zu transportieren. Zwecks Beschaffung eines Alibis, sollte er zwei Kinokarten besorgen. Diese Kinokarten konnte Jens Söring bei seinem Prozess auch vorlegen. Sie waren also in seinem Besitz als er verhaftet wurde.
Nur gab Elizabeth Haysom an, dass sie diejenige sei, die damals die Kinokarten besorgte. Wer von beiden lügt? Bei neutraler Betrachtung kommt man zu dem Schluss, dass die Kinokarten gar nichts aussagen. Denn erstens, lässt sich nicht mehr feststellen, wer sie tatsächlich erworben hat. Denn zwischen Erwerb der Karten und der Festnahme von Elizabeth Haysom und Jens Söring lagen etliche Monate. Die Karten können also in Zwischenzeit hin und her gereicht worden sein. Zweitens können die Karten von einer beliebigen Person vor der Fahrt nach Charlottesville gekauft worden sein. Die Kinokarten taugen also in keinem Fall als Unschuldsbeweis.
Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang ist Skizze von dem Kino, die in dem Tagebuch von Elizabeth Haysom gefunden wurde. Wie die Skizze in das Tagebuch von Elizabeth gekommen ist, wenn Jens im Kino war? Ich bin aber der Meinung, dass es sich bei der Skizze um ein relativ schwaches Indiz handelt. Ein starkes Alibi lässt sich daraus jedenfalls nicht konstruieren.
Letztlich gibt es noch eine Quittung vom Zimmerservice des Hotels in Washington D.C. Die Bestellung wurde nachweislich mit der Kreditkarte von Jens bezahlt. Gleichwohl trägt die Quittung keine Uhrzeit. Somit taugt sie nicht als Beweis, für die Anwesenheit von Jens in Washington während der fraglichen Zeit (Samstagnachmittag- Samstagnacht).
Übrigens konnten in Washington keine Zeugen ausfindig gemacht werden (Hotelangestellte, Mitarbeiter des Kinos, etc.), die Jens oder Elizabeth an dem Samstag in Washington gesehen haben.
Fazit:
Sowohl Jens Söring wie auch Elizabeth Haysom habe ein Motiv für die Tat und beide können kein Alibi vorweisen.