Freitag, 26. Mai 2017

Der Fall Jens Söring: Der Brief des Sheriffs


Kürzlich hat der Sheriff von Albemarle County (Virginia), “Chip” Harding, einen Brief veröffentlicht, indem er dafür plädiert, dass Jens Söring frei gelassen wird. Zu den Hintergründen kann ich nichts sagen. Verwunderlich ist der Vorgang aber schon. Schließlich fällt die Zuständigkeit der Haysom Morde in den Landkreis Bedford.

Bevor ich den Brief inhaltlich bewerte, möchte ich kurz ausführen, welche Aufgabe ein Sheriff innehat und welche Qualifikation Sheriff Harding mitbringt:

In den USA ist ein Sheriff ein Leiter einer Polizeibehörde eines Landkreises (County) und wird üblicherweise von der Bevölkerung gewählt. Ein Sheriff ist also primär ein Verwaltungsbeamter und kein operativ tätiger Ermittler. Der höchste akademische Abschluss von Sheriff Harding ist laut seiner Homepage ein „Bachelor of Science in Social Welfare“ (Quelle:
http://www.albemarleso.org/Nresume.html). Ob ein Bachelor im Fach Social Welfare/ Sozialhilfe als Schlüsselqualifikation für ein Sheriffsamt durchgeht, möge jeder Leser für sich entscheiden.

Seine Analyse untergliedert Sheriff Harding in neun Bereiche. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass etwas nicht stimmt. Kann es sein, dass der Sheriff die Argumentationslinie von Jens Söring übernommen hat? Werden bestimmte Umstände, die für die Tatbeteiligung von Jens Söring sprechen komplett ausgeblendet? Warum werden Ungereimtheiten in Jens` Version der Geschichte nicht hinterfragt? Hierzu einige Beispiele:

- Die widersprüchliche und in vielen Teilen unlogische Washington Geschichte von Jens wird nicht hinterfragt.
- Die Tagebuch Einträge von Elizabeth werden verschwiegen.
- Der Zeitpunkt der Flucht wird nicht thematisiert.

Vor allem ist die gesamte Darstellung aus der Sichtweise von Jens geschrieben bzw. der Tenor ist stets Pro Jens. Folglich werden nur die Unterstützer von Jens befragt und zitiert (Chuck Read, Carlos Santos, etc.). Personen, die eine von Jens abweichende Meinung haben, werden nicht gehört.  

Nun aber zu den Aussagen von Sheriff Harding:



1. Blood Evidence

In einem ersten Schritt führt Harding aus, dass Staatsanwalt Updike vor Gericht argumentiert hätte, dass am Tatort Blut der Blutgruppe 0, also der von Jens, gefunden worden wäre. In einem zweiten Schritt versucht Harding diese Sichtweise zu widerlegen. Hierzu bemüht er den alten DNA Bericht aus dem Jahr 2009. Demnach könne Jens kein Blut nachgewiesen werden. Verschweigen tut der Sheriff aber Folgendes:

- Mindestens 5 Blutproben der Blutgruppe 0 konnten nicht ausgewertet werden, könnten also zu Jens Söring gehören.
- Ein Zeuge hat Jens bei der Beerdigung mit einem Verband an seiner Hand gesehen und dies auch vor Gericht bezeugt. 
- Der Umstand, dass mehrere Blutproben möglicherweise vermischt wurden wird ebenfalls verschwiegen. Dazu später mehr unter Punkt 9.

 2. Sock Evidence

Auch in Bezug auf den blutigen Sockenabdruck wird fast wortgleich die Argumentation von Jens übernommen. Selbst der ominöse „Reifenabdruckexperte“ wird wiederbelebt. Ich muss die Gegenargumente an dieser Stelle nicht wiederholen. Alles zum Sockenabdruck könnt ihr hier nachlesen:
klick.

3. Shoe Impressions in Blood

Siehe hierzu: “6. Haysom’s Confession and Likely Role at the Murder Scene/B.3”

4. The Recanted Soering Confession

Im Hinblick auf das angeblich falsche Geständnis, übernimmt Sheriff Harding ebenfalls die Argumente von Jens. Kein Wort über das während der Geständnisse offenbarte Täterwissen. Zur Krönung des ganzen wird noch Dr. Andrew Griffiths zitiert, der im Auftrag von Jens seine Geständnisse untersucht hat und wenig verwunderlich den Ausführungen von Jens zugestimmt hat.

5. The Alibi and Night of the Crime

Recht ausführlich wird auf die Alibis eingegangen. Ich finde das recht seltsam, denn weder Jens noch Elizabeth können ein Alibi vorweisen. Besonders verwundert mich dieser Satz, der zweifelsfrei zeigt, wie einseitig der Bericht verfasst ist:

“Every homicide investigation of which I have been involved and where the defendant has attempted to remove any form of blood evidence from a vehicle, whether using a cleaning agent or not, luminal still led us to blood. Haysom’s lie is more revealing than most because the science is so crystal clear that traces of blood would surely have been discovered, but none was.”

Hintergrund ist, dass Elizabeth ausgesagt hat, dass Jens in einem blutverschmierten Laken in Washington ankam- folglich hätte es im Auto Blutspuren geben müssen, die es aber nicht gab. Verschweigen tut der Sheriff:

- Das Jens gegenüber dem leitenden Ermittler Ricky Gardner angab, sich vor der Rückfahrt seiner blutigen Kleidung entledigt zu haben. Somit gibt es eine plausible Erklärung für das saubere Auto.
- Das, wenn Elizabeth die Täterin war, es ebenfalls eine Erklärung für das saubere Auto hätte geben müssen. Das saubere Auto nun als Unschuldsbeweis für Jens hinzustellen ist somit unseriös.

6. Haysom’s Confession and Likely Role at the Murder Scene

Teil A: Das Geständnis: Siehe hierzu: „B.8. She confessed to the killings”

Teil B: Beweise für ihre Anwesenheit am Tatort:

B.1) E. Haysom’s type B blood was found near her mother’s body; less than 11% of population has this type.

Bei 320 Mio. Einwohnern in den USA, grenzt diese Blutgruppe den Kreis der Verdächtigen auf lediglich 31 Millionen Menschen ein. Das soll Elizabeth jetzt verdächtig machen? Viel schlimmer: Das Blut der Blutgruppe B wurde nicht neben der Leiche von Nancy gefunden, sondern in der Waschmaschine, die sich wie der Leichnam von Nancy, ebenfalls in der Küche befand.

B.2) Merit cigarettes, the type she smoked, were found outside the front door and back door.

Ich kann leider nicht sagen, wie viele Menschen im Jahr 1985 diese Zigarettenmarke geraucht haben. Aber es werden nicht wenige gewesen sein. Zudem handelt es sich bei dem Fundort um das Haus der Eltern von Elizabeth. Warum sollte der Fund des Zigarettenstummels Elizabeth also belasten?

B.3) The shoe print found at the crime scene in a bloody area was consistent with her shoe size.

Nein. Von einem Schuhabdruck lassen sich keine Rückschlüsse auf den Täter ziehen.

B.4) She openly hated her mother.

Korrekt. Das ist ein Motiv. Aber eben auch das Motiv von Jens (mehr zu den Motiven: klick).

B.5) She testified that she was aided by her roommate Christine Kim in devising an alibi time line.

Korrekt. Aber das Alibi verfassten Christine, Elizabeth und Jens zu Dritt! Warum wird das verschwiegen?

 B.6) She had the best opportunity to shower afterward and to change into clothes at her own house, thus leaving no blood in the rental car.

Das ist kein Beweis und keine Spur. Jeder Mensch hätte die Dusche benutzen können.

B.7) She worked out a plea agreement favorable for her to lie because Updike wanted Soering tried.

Dass Elizabeth nun auch noch vorgeworfen wird, ein Geständnis abgelegt zu haben, finde ich verwirrend. Sorry, aber ich kann das nicht anders ausdrücken.

B.8) She confessed to the killings.

Jens hat ebenfalls gestanden. Aber eben viel umfangreicher als Elizabeth: multiple ausführliche Geständnisse, auf denen Täterwissen offenbart wurde. Elizabeth hat hingegen nur einen Satz von sich gegeben. Warum wird das verschwiegen?

B.9) Her fingerprints were found on a vodka bottle which bottle near her father’s body. This bottle was located away from the other liquor bottles.

Korrekt. Aber es handelt sich um das Haus der Eltern von Elizabeth. Was soll der Abdruck also aussagen?

7. Motive

Auch hier keine neuen Argumente oder Erkenntnisse. Siehe hierzu auch: “6.Haysom’s Confession and Likely Role at the Murder Scene/B.4”

8. The Letters

Die Bedeutung der Briefe wird von Sheriff Harding heruntergespielt:


“Although I agree there are suspect passages, I do not see any outright admissions to murder.”
Es wäre aber doch angebracht gewesen die doch sehr aussagekräftigen Passagen (alles weitere zu den Briefen könnt ihr hier nachlesen: klick) zu zitieren, damit sich jeder der sie nicht ein Bild davon machen kann. Zudem fehlt der Hinweis darauf, dass die englische Polizei, die die Briefe in London fand, erst auf Grund dieser Passagen bei den Kollegen in Virginia nachfragte, ob diese einen Mordverdächtigen sucht. Bis zum Öffnen der Briefe wurden Jens und Elizabeth nur wegen der Scheckbetrügereien verdächtigt.

9. Serology and DNA

Ebenfalls an dieser Front keine neuen Feststellungen. Trotzdem habe ich einen interessanten Satz gefunden:

"One of the findings that had been a concern for me was when I read the DFS report stating that 8 samples (6 with A blood types and 2 with O blood) had all “originated from a common male contributor.” I read it to mean the same person had two different blood types which would be impossible and might imply Mary Jane Burton, the DFS serologist got the blood typing wrong.”

Somit wird letztlich selbst von diesem seltsam voreingenommenen Sheriff bestätigt, dass es erhebliche Zweifel an der neusten Behauptungen von Jens in Bezug auf die angeblichen entlastenden DNA- Beweise gibt. Immerhin.

Fazit:

Ich kann gar nicht glauben, dass ein amtierender Sheriff einen derart erratischen Text voller Unwahrheiten und Auslassungen produziert hat. Auch wenn er die Recherche als Privatmann bewerkstelligt hat, ist er zu Objektivität verpflichtet. Schließlich hat er das Schriftstück mit dem Briefkopf des Sheriff Büros veröffentlicht, wodurch es natürlich einen (gewollten?) offiziellen Charakter bekommt. Was treibt diesen Sheriff an?